Videogame-Highlight: "Red Dead Redemption 2": Das Meisterwerk zeigt ein gigantisches Problem der Spielebranche

Eines vorweg: „Red Dead Redemption 2“ ist großartig. Wirklich. Sich im Wilden Westen des späten 19. Jahrhunderts zu verlieren, mit der Gang Züge zu überfallen oder einfach zu jagen und dabei die wunderschöne Welt zu bewundern, macht unglaublichen Spaß. Leider macht es aber auch schmerzlich bewusst, dass die Spiele-Branche immer seltener ihr wichtigster Spagat gelingt: der zwischen Hardcore-Zockern und Gelegenheitsspielern.

Wer sich nur gelegentlich eine halbe Stunde in den Sattel schwingen will, wird mit RDR2, wie die Fans es abkürzen, schnell enttäuscht sein. Schon der Einstieg alleine ist schwerfälliger, als man es von Spielen heutzutage gewohnt ist. Zuerst sieht man nämlich vor allem eines: Weiß. Mindestens eine Stunde muss man sich durch die verschneite Gegend des Tutorials schleppen, um dann endlich in die gigantische Freiheit der opulenten Spielewelt entlassen zu werden. Red Dead Redemption 2_20181105143946

Angenehm langsam oder schlicht zu lahm?

Und auch dort findet sich kaum schnelle Action. RDR2 spielt sich mit seinen langen Ritten und der zunächst eher dahinplätschernden Handlung deutlich langsamer als andere aktuelle Titel. Eine bewusste Entscheidung, die den seltenen, aber intensiven Action-Szenen – von denen es später im Laufe der Handlung dann auch deutlich mehr gibt – zusätzliches Gewicht verleiht. Bringt man die entsprechende Zeit mit, ist es durchaus sehr angenehm, dass das Spiel das Tempo senkt.

Schließlich passt das viel besser zur Atmosphäre. Wer nur selten spielt, bleibt allerdings irritiert zurück. Dass man im Spiel viel Zeit damit verbringt, sich mit Nahrung, Bädern und ausreichend Schlaf um das Wohlbefinden seiner Figur und ihrer Gang zu kümmern, sorgt für Immersion, das Zeitproblem macht es aber nicht besser.Red Dead Redemption 2_20181027235302

Auch andere Elemente des Spiels dürften vor allem die Vielzocker ansprechen. Die Steuerung etwa ist mit ihren je nach Kontext anders belegten Knöpfen enorm komplex und bietet damit unzählige Möglichkeiten, mit der detailreichen Spielwelt zu interagieren. Gerade am Anfang kommt man dadurch aber ständig durcheinander – und bedroht dann auf einmal Unschuldige mit der Waffe, statt sich mit ihnen zu unterhalten. Plötzlich muss man nach der daraus folgenden, unbeabsichtigten Schießerei auf einmal mit einem hohen Kopfgeld vor dem Sheriff fliehen.

Spielt man länger – bevorzugt am Stück – gewöhnt man sich an die Komplexität, irgendwann geht die Steuerung ins Blut über. Liegen zwischen den halbstündigen Spielsessions aber Tage, bleiben die Verwechslungen frustrierend. Dass die Steuerung sich im Menü ausführlich anpassen lässt, dürfte der Durchschnittskäufer nicht mitbekommen.Red Dead Redemption 2_20181102210945

Die Branche denkt zu groß

Mit seinem Problem ist Entwickler Rockstar nicht alleine. Immer mehr große Spiele richten sich mit ihren offenen Spielwelten mit Dutzenden Stunden Spielzeit vor allem an Spieler mit viel Freizeit. Die Handlung wird nur zu einem Element von vielen, die in den gigantischen Spielwelten versteckten Orte, Charaktere und Abenteuer nehmen immer mehr Zeit ein. Wer nur mal eben schnelle Action will, wird von den unzähligen Möglichkeiten schlicht überwältigt.AC Odyssey_9.40

In der letzten Generation war das noch anders, die handlungslastigen Games und die Open-World-Spiele noch klarer getrennt. Bei den einen ging es um die Geschichte, sie ließen sich meist auch von Zockern mit wenig Zeit vollständig beenden. Die anderen luden zum Erkunden ein, die wahre Attraktion war das Erleben der Welt. Durch die neuen technischen Möglichkeiten vermischen sich die Genres aber immer mehr. Ob „Witcher 3“, die neuen Tomb-Raider-Spiele oder das aktuelle „Assassins Creed Odyssey“: Alle verbinden eine komplexe, ausführliche Handlung mit einer riesigen offenen Welt – und werden dadurch zu gigantischen Epen. Das sorgt dafür, dass man ewig Zeit mit den Spielen verbringen kann. Wer nicht stur der Haupthandlung folgt, verliert aber schnell den Faden.

Freizeit-hungrige Geschichten

Bei manchen Spielen wird man sogar regelrecht gezwungen, sich mit den Nebenbeschäftigungen herumzuschlagen. In „Assassins Creed Odyssey“ hat man in bestimmten Gegenden nur eine Chance, wenn man den entsprechenden Level erreicht hat. Das ist nur mit dem reinen Ablaufen der Haupthandlung aber kaum zu schaffen. Auch bei „The Witcher 3“ muss man sich mit jeder Menge Nebenaufgaben herumschlagen, um weiterzukommen. Red Dead Redemption 2_20181103232330

Da ist es bei „RDR2“ angenehm, dass man in der Regel einfach die Haupt-Aufgaben abarbeiten kann, wenn man das möchte. Leider verrät einem das Spiel nicht immer, welche Story-Missionen man wirklich braucht und welche nicht. Doch selbst wer nur die Haupthandlung spielt, hat viel zu tun. Gut 60 Stunden Story stecken im Spiel – wenn man sich nicht von den unzähligen Nebenaufgaben wie Jagen, Überfällen, Glückspiel oder Zufallsgeschichten am Wegrand ablenken lässt. Das ist viel Zeit, wenn man nebenbei einen Job und oder gar noch ein Familienleben unterbringen muss. Das emotionale Ende dürften daher nur ein Bruchteil der Spieler zu Gesicht bekommen. Eigentlich ist das ziemlich schade.

Spielzeit als Kaufkriterium

Der Hintergrund der stetig expansiveren Spielwelten dürfte neben dem Willen, etwas Großes zu schaffen, auch sein, dass eine lange Spielzeit von einem Teil der Käufer immer mehr als Maßstab des Spielspaßes gesehen wird. Das ist auch nachvollziehbar: Wer täglich Stunden in Spiele investieren kann, wird mit den neuen Riesenwerke lange unterhalten. Die Gelegenheitsspieler kommen aber unter die Räder.

Dabei sind die Hersteller auf die genauso angewiesen – schließlich machen  die solche Großprojekte überhaupt erst rentabel. Ambitionierte Spiele wie „Red Dead Redemption 2“ kosten Hunderte Millionen von Euro – und müssen die natürlich auch wieder in die Kassen spülen. Entsprechend sieht man Hauptfigur Arthur Morgan ja auch gefühlt auf jeder Litfaßsäule. Auf Dauer könnte das aber nach hinten losgehen: Wenn die Gelegenheitsspieler von den Riesenspielen immer wieder abgeschreckt werden, kaufen sie sie vielleicht gar nicht mehr. Das neue Fifa oder eine schnelle Runde „Fortnite“ sind schließlich viel einfacher zu genießen. Und der Stapel an nicht zu Ende gebrachten Spielen wird ja auch nicht kleiner. games Highlights 1800

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