In drei Wochen ist Weihnachten. Und weil immer weniger Menschen sich am Wochenende durch die vollen Einkaufsstraßen drängeln wollen, lassen sie die Geschenke für ihre Liebsten direkt nach Hause liefern. In der Regel erledigt das Amazon. Der Konzern aus Seattle ist hierzulande der Marktführer im Onlinehandel. Er bietet Millionen Produkte, die bequem mit wenigen Klicks geliefert werden – manchmal sogar noch am selben Tag.
Doch mit jeder Bestellung erhält Amazon nicht unser Geld, sondern etwas noch viel Wertvolleres: Daten. Warum der Konzern so erpicht darauf ist, möglichst viel über seine Kunden zu erfahren, zeigt der Film „Allmacht Amazon“ von Martin Herzog und Marko Rösseler, der heute Abend im WDR ausgestrahlt wird (22.10 Uhr).
„Menschen sind vorhersehbarer, als wir glauben“
„Ein Konzern, der uns besser kennt als wir uns selbst? Der Wünsche erfüllt, bevor wir sie gedacht haben? Leben wir bald in dieser schönen Amazon-Welt“, fragen die Filmemacher zu Beginn. Nur um die Antwort kurz darauf selbst zu geben: Ganz so weit sind wir noch nicht, aber wir sind auf dem besten Weg dahin. In dem Film kommen mehrere Experten zu Wort, einer der Kritiker ist Viktor Mayer-Schönberger. Er ist Professor für Internet Governance in Oxford, beschäftigt sich also damit, was die IT-Riesen mit Daten anfangen. Er meint: „In diesem Datenzeitalter ist Amazon ganz vorne.“
Der Konzern sammle alle Daten, die er kriegen könne, so der Experte. Jeder Klick verrät etwas über den Kunden: Was für ein Gerät nutzt er zum Shoppen, zu welcher Uhrzeit kauft er bevorzugt ein, welche Produkte hat er noch angesehen, welche Preise verglichen? Wir lassen all diese Verhaltensmuster von uns erfassen und auswerten, obwohl wir so etwas im echten Leben niemals zustimmen würden. Zum einen, weil wir davon gar nichts bemerken. Zum anderen, weil wir auch Vorteile daraus ziehen.
Denn aus all diesen Daten versucht Amazon herauszufinden, welche Produkte am besten zu dem Kunden passen. Wohl jeder kennt den „Menschen, die das gekauft haben, interessieren sich auch dafür“-Kasten. „Für viele Konsumenten ist das erst einmal etwas Tolles, etwas Gutes. Es ist deshalb gar nicht überraschend, dass angeblich 30 Prozent des Umsatzes nur aus den Empfehlungen heraus entstehen. Wir Menschen sind vorhersehbarer, als wir eigentlich glauben“, so Mayer-Schönberger. Maschinen würden Muster viel schneller und korrekter erkennen als Menschen. „Das erlaubt, Vorlieben zu erkennen, von denen wir selber noch gar nicht wussten, wenn wir sie haben.“
Amazon, ein Allmachts-Konzern?
Die Netzaktivistin und Autorin Katharina Nocun sieht es ebenfalls kritisch, dass die Konzerne immer tiefer in unser Privatleben vorstoßen. Amazon etwa ist längst nicht mehr nur eine Shoppingplattform. Der Konzern verkauft mittlerweile auch Versicherungen, betreibt einen Film-, Serien- und Musikstreamingdienst, Cloud-Server und liefert in einigen deutschen Städten sogar frische Lebensmittel. Amazon wächst in alle Bereiche des Lebens, und gerät so auch ins Visier der EU-Wettbewerbskommission.
„Unternehmen wie Amazon haben ein sehr großes Interesse daran, herauszufinden, wann ein neues Kind in eine Familie geboren wird, weil das ein Punkt ist, in der sich in einer Familie unglaublich viel verändert. Wer es da schafft, ein Produkt zu platzieren, hat einen neuen langfristigen Kunden gewonnen“, erklärt Nocun.
Alexa ist Vorbote eines neuen Kapitalismus
Eine gemäßigtere Positionen vertritt Andreas Weigend. Er arbeitete Anfang der 2000er selbst als Chefwissenschaftler bei Amazon, mittlerweile ist er ein gefragter Experte in Sachen Datenanalyse. Er ist unter anderem Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung. Weigend meint, man müsse in der Zukunft nicht sparsamer mit Daten umgehen, sondern mehr für die produzierten Daten bekommen.
Ganz anders sieht es die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff. Sie sieht vor allem in der Sprachassistentin Alexa und den dazugehörigen Echo-Geräten eine Gefahr: „Was wir mit unserer Stimme liefern, ist unbezahlbar.“ Die allgegenwärtige Alexa sei der Vorbote einer ganz neuen Art des Kapitalismus: „Wir glauben, wir sind Kunden, aber eigentlich sind wir der Rohstoff.“ Zuboff bezeichnet den Überwachungskapitalismus als „Schurkenkapitalismus“: „Er lebt davon, unser Privatleben auszusaugen, um daraus Gewinn für sich zu ziehen.“ Der Preis für diese Zukunft sei „der Verlust unserer Freiheit, unserer sozialen Bindungen, unserer Demokratie.“
Dystopische Zukunft
Der Mensch wird immer gläserner, Vielfalt schwindet, immer mehr Dienste werden von immer wenigen Unternehmen kontrolliert: Martin Herzog und Marko Rösseler zeichnen mit ihrem Film eine dystopische Zukunft. Ob sich die Welt so pessimistisch entwickelt, wie es hier zu sehen ist, wird sich zeigen. Die Autoren beschäftigen sich eher mit den Risiken und weniger mit den Chancen, welche die Technik bietet. Das ist bei aller berechtigten Kritik schade.
Einige Aspekte regen aber zum Nachdenken an: Werden Daten erst dann gefährlich, wenn sie zentral von einer Macht kontrolliert werden? Ist Privatsphäre wichtiger als Bequemlichkeit? Unterschätzen wir, wie gut das System uns eigentlich kennt?
Der Film „Allmacht Amazon“ läuft am 05. Dezember im WDR