Im letzten Propaganda-Film des Dritten Reiches „Das Leben geht weiter“ fällt ein Silberstreifen vom Himmel. Er trudelt hinunter auf das Liebespaar, die Bibliothekarin Lenore Carius und den Fliegerhauptmann Hoeßlin. Im Film dient der Streifen einer etwas kitschigen Liebesbekundung, dabei lähmten diese Streifen in Wirklichkeit die deutsche Luftverteidigung und bahnten den alliierten Bombern den Weg.
Die Alu-Schnippsel gingen auf die Entdeckung einer Frau zurück. Joan Strothers wuchs in Swansea an der Küste von Wales auf. Nach dem Studiums 1938 ging sie an das renommierte Cavendish Laboratory der Universität, um dort mit einer Promotion in Physik zu beginnen. Dann kam der Krieg. Joan wechselte in die Rüstungsforschung und lernte dort ihren späteren Mann Samuel Curran kennen. Gemeinsam entwickelten sie zunächst Näherungszünder für Luftabwehrwaffen. Die kamen später unter anderem gegen die Raketen zum Einsatz, die die Deutschen auf London abfeuerten.
Dann wechselte das Paar in ein anderes Team: Es sollte eine Methode entwickelt werden, um Flugzeuge vor dem feindlichen Radar zu verbergen. Dabei ging es nicht darum, den Radarschatten einzelner Flugzeuge zu verringern, so wie es Strealth-Jets heute machen. Man wollte das Radar der Deutschen in die Irre führen. Die Alliierten griffen das Deutsche Reich mit riesigen Bomberflotten von bis zu 1000 Maschinen bei Tag und bei Nacht an. Je eher die Deutschen die Bomberpulks entdeckten und deren Kurs und mögliches Ziel identifizieren konnten, umso mehr Abfangjäger konnten sie ihnen entgegenschicken. FS B-17
Einfache Idee
Schnell kam man auf eine verblüffend einfache Idee: Auch dünne Metallstreifen reflektierten das Radarsignal – in der richtigen Form und in der richtigen Bündelung sollten sie den Schatten eines schweren Bombers simulieren. So einfach und brillant die Idee auch war, so war es keineswegs leicht, das richtige Rezept für die Reflektoren zu finden.Stealth Technik
Joan Curran arbeitete ein Jahr lang, um den richtigen Reflektor zu finden. 1942 legte sie sich auf Reflektoren fest, die etwa 25 Zentimeter lang und 1,5 Zentimeter breit waren. Es handelte sich um Papierstreifen, die dünn mit Aluminium kaschiert waren. Sie wurden in Paketen von einem halben Kilo zusammengepackt. Wurden sie in regelmäßigen Abständen aus einem Flugzeug abgeworfen, erzeugten die flatternden Streifen einen „Rauchschleier“ für das feindliche Radar. Auch die Deutschen kamen parallel auf die gleiche Idee. Da aber die Zeit der großen Bombenangriffe für die Deutschen bereits vorbei war, blieb die Innovation ohne große Folgen für die deutsche Seite.
In der Nacht besonders wirksam
Für die Briten war die Entdeckung interessanter. Die US-Luftwaffe verfügte über weit bessere und kampfstärkere Bomber als die Royal Air Force, wie die „Fliegende Festung“ B-17. Daher übernahmen die Amerikaner die riskanten Einsätze bei Tage. Die US-Flugzeuge waren am hellen Himmel schon durch ihre Kondensstreifen von weitem zu erkennen. Hier hätte die Täuschung des Radars den Gegner nicht lange verwirren können. Doch die verwundbaren Bomber der Briten wurden nur in der Nacht eingesetzt. In der Dunkelheit konnten die Bomber ohne Suchscheinwerfer vom Auge nicht entdeckt werden. Die deutschen Nachtjäger wurden von Radaranlagen am Boden zu den Bomberflotten geleitet.
Den ersten Einsatz erlebte die Täuschungstechnik 1943, als die Alliierten Hamburg mit der Operation „Gomorrha“ in einem bis dahin nie dagewesenen Feuersturm verwüsteten. Die britischen Bomber warfen etwa 40 Tonnen Streifen ab. Damit blendete sie die Radargeräte, die die deutsche Flak und die Flakscheinwerfer steuerten. Bei der Bombardierung setzen die Briten 791 Bomber ein. Im Einsatz verloren sie nur 12 Maschinen. Das waren nur drei Prozent der Flugzeuge, sonst waren es oft mehr als zehn Prozent.Radar
Der „grüne Daumen“ der Wissenschaft
Nicht nur bei den Bombenangriffen, auch bei der Landung in der Normandie spielten die Streifen eine wichtige Rolle. Um die Deutschen zu täuschen, wurden Hunderte von Fallschirmspringer-Püppchen abgeworfen. Am Boden angekommen, sorgte Feuerwerk dafür, dass die wenigen Deutschen in der Gegend, die Puppen für eine kämpfende Truppe hielten. Die Luftflotte, die zu so einer Landung dazu gehörte, wurde von Currans Streifen simuliert.
Nach dieser Erfindung arbeitete Joan Curran weiter in der Rüstungsforschung – auch am Manhattan-Projekt, dem Bau der Atombombe, wirkte sie mit. Ihr Vorgesetzter, der legendäre Geheimdienstoffizier Reginald Victor Jones, erinnerte sich in seinem Nachruf für Joan Curran, dass ihr Anteil an der Arbeit durchaus größer war, als der ihres weit bekannteren Mannes. Denn das, was man im Garten einen „grünen Daumen“nennt, hätte Joan Curran bei der Forschungsarbeit besessen.
Quellen:
“ The Independent“ – Obituary: Joan Curran
Richard Maddox – The Window Woman
„Smitsonian Magazine“ – The Woman Whose Invention Helped Win a War — and Still Baffles Weathermen