Hoch zu Pferd, mit Helm, Harnisch – voller Glanz und voller Farben. So hat der Ritter im kollektiven Gedächtnis überlebt. Der stolzeste und glanzvollste Ritter war Charles le Téméraire, Karl der Kühne, der unermesslich reiche Herzog von Burgund. Und ausgerechnet er, die Blüte der Ritterschaft, wurde von Schweizer Bauern in drei Schlachten besiegt. Übrig blieb von dem stolzen Burgunder nur der Abzählreim: „Bei Grandson verlor er das Gut, bei Murten verlor er den Mut, bei Nancy das Blut“.
„Ich habe es gewagt“
Karl starb 1477, wie er gelebt hatte, ohne jede Furcht. Sein Motto lautet: „Ich habe es gewagt“ – „Je lay emprins“. Und nun hatte er alles verloren. Zwei Tage nach seinem letzten Kampf wurde die Leiche bei einem Weiher gefunden. Ein Hieb mit der Hellebarde hatte seinen Kopf gespaltet. Durch weitere Verletzungen war er entstellt, von Wölfen angefressen und aller Zeichen seiner Macht beraubt. Karls Leiche war gefroren und nackt – der Tote wurde komplett ausgeplündert. Nur ein alter Diener konnte den Herzog anhand alter Naben identifizieren.
Ein unrühmliches Ende nicht nur für Karl, mit ihm endete auch das Rittertum als militärische Macht. Denn Karls schwere, gepanzerte Kavallerie vermochte nicht gegen das Aufgebot der Schweizer Bauern zu bestehen. Es ist ein populärer Mythos, dass die Feuerwaffen den Ritter besiegten, es war eine ganz andere, heute vergessene Waffe.
Siege nur mit Geländevorteil
Tiere vor GerichtSchon vorher gelang es Aufgeboten, große Ritterheere zu besiegen. Die Schweizer erkämpften ihre Unabhängigkeit, als sie die Habsburger bei Morgarten (1315) und Sempach (1386) besiegten, in Deutschland schlugen die Kämpfer der Dithmarscher Bauernrepublik 1500 die Söldner der Schwarzen Garde. Aber bei all diesen Siegen spielte das Gelände eine entscheidende Rolle. Den untrainierten Bauern und Bürgern gelang es, die gepanzerten Berufskrieger an einer Stelle zum Kampf zu stellen, wo ihre schweren Rüstungen kein Vorteil, sondern ein schwerer Nachteil waren.
In dem Kämpfen gegen Karl den Kühnen kamen den Eidgenossen nicht Sümpfe und Abhänge zur Hilfe. Hier „erfanden“ die Schweizer die moderne Infanterie. Schon die Römer wussten, dass Reiter keine Linie von Fußsoldaten durchbrechen konnten, wenn diese nicht in Panik gerieten. Doch die römischen Legionäre waren gedrillte Kampfmaschinen, die jahrelang das Gefecht in ihren Formationen geübt hatten .
Ein sehr langer Spieß war die Superwaffe
Die Schweizer Aufgebote bestanden nicht aus Berufssoldaten – sie waren stark und tapfer, aber nicht sonderlich diszipliniert. Die Schweizer hatten einen anderen Vorteil: Sie benutzten keine umgebauten Sensen und Kurzspieße wie andere Bauernaufgebote. Die Schweizer entwickelten einen Langspieß, der länger war als die Lanzen der Ritter. Diese Spieße waren etwa 5 Meter lang und konnten nur von starken Männern beherrscht werden. Es waren Waffen, die man zudem nur in der Gruppe gebrauchen konnte, für den Kampf „Mann gegen Mann“ waren sie vollkommen ungeeignet. Aber in einer großen Formation waren sie eine schreckliche Waffe.
Karl der Kühne hatte dagegen die modernste Armee seiner Zeit. Seine schwere Reiterei kämpfte diszipliniert unter einem Kommando, er verfügte über Artillerie und eine effiziente Versorgung im Feld. Die Schweizer stellten sich in großen rechteckigen Haufen auf, die schmalere Seite bildete die Front. Sie starrte vor Waffen, denn die ersten Reihen des Haufens senkten die gigantischen Spieße. Zu Pferde war kein Gegenankommen gegen diese Front. Bevor Schwert oder Lanze des Ritters einen Fußkämpfer hätte erreichen können, wären er und sein Pferd aufgespießt worden. Ein Gewaltangriff als Durchbruch war auch unmöglich. Wenn die hintere Seite des Langspießes im Boden abgestützt wurde, war die Wand aus Lanzen undurchdringlich.
Rom Domus U-BahnDie größte Neuerung: Die Schweizer Formation war nicht nur zu Defensive fähig. Schon die zusammengeketteten Wagenburgen der Hussiten konnten von Ritterheeren kaum oder nur äußerst schwer aufgesprengt werden, aber sie waren unbeweglich. Der Schweizer Haufen hingegen war eine unaufhaltsame Angriffsformation, der wie Thors Hammer die Linien der Gegner zerschmetterte.
Grauenhafte Gemetzel
Der Grund war einfach und grausam: Wenn die tief gestaffelte Formation sich einmal in Bewegung gesetzt hatte, konnte sie nicht mehr halten. Die vorderen Reihen mussten unaufhörlich voranschreiten, weil die hinteren Glieder nachdrängten. Wer zu Boden sank, wurde von den eigenen Leuten zertreten. Mit dieser Kraft drang der Lanzenwald der Front voran und zerschmetterte jeden Widerstand. Vorn im Haufen standen die Pikeniere mit den Lanzen, dann folgten Kämpfer mit Hellebarden und Zweihandschwerter, dazu kamen gepanzerte Kämpfer. Gegen diese Art zu kämpfen hatte der Ritter keine Chance. Einen Gewalthaufen konnte man nur mit einer eigenen Formation derselben Art begegnen. Schnell adaptierten die Deutschen die Schweizer Methode der Kriegsführung.
Dolch MeteoritDer deutsche Söldnerführer Frundsberg beschrieb den Zusammenprall zweier Haufen in Italien so: „Wo unter den langen Wehren etliche Glieder zu grund gehen, werden die Personen, die dahinter stehen, etwas zaghaft.“ Die langen Spieße verhakten sich, das Gedränge war schlimmer als in einem Konzert vor der Bühne. Schwerter und Hellebarden waren nicht zu gebrauchen, also griff man in der Enge zu Dolchen, kurzen Äxten und Fausthämmern. Viele wurden auch einfach erdrückt. Andere krochen zwischen den Beinen umher, um dem Gegner die Sehnen zu durchtrennen. Das Gemetzel ging fort, bis ein Haufen anfing zu wanken. Aber die Flucht war keine Option, die Gruppe, die nicht mehr standhalten konnte, wurde buchstäblich in den Boden gerammt.
Beginn der Schweizer Neutralität
Für die Schweizer selbst erwies sich die Führung in der Militärtechnik als zweischneidige Sache. Durch sie wurde die Schweizer Unabhängigkeit bewahrt. Territorial vergrößerte sich die Schweiz durch Eroberungen im heutigen Deutschland und in Italien deutlich. Bis zu Napoleon wagte es niemand, die Eidgenossen anzugreifen. Doch schon bald wurde den Schweizern ihre erste Niederlage beigebracht. Bei Marignano wurden sie von deutschen, französischen und italienischen Landsknechten, die genauso kämpften wie sie, dies aber disziplinierter, zurückgeworfen. Die Schlacht von Marignano war außerordentlich grausam. Zeitzeugen berichteten, die Kämpfer hätten bis zu den Knöcheln im Blut der Toten gestanden.
Heute ist das Gefecht überall in der Welt vergessen, nur in der Schweiz nicht. Dort gilt die „Schlacht der Giganten“ als Wendepunkt der Außenpolitik. Die strikte Neutralitätspolitik der Schweiz wird auf den Schock der Niederlage zurückgeführt.
Damals war die Welt entsetzt von der barbarischen und kultischen Wildheit der Kämpfe. In den Kämpfen gegen Karl den Kühnen war es den Schweizern streng verboten, Gefangene zu nehmen. Im Mittelalter wurden Gefangene wegen des Lösegelds gemacht, die Schweizer sollten in der Formation kämpfen und sie nicht wegen eines Lösegeldes verlassen. Die Folge: Sie schlugen alle Gefangenen und Verletzten gnadenlos tot. In Marignano schnitten die Deutschen toten Schweizern die Bäuche auf, um mit dem Fett ihre Spieße zu schmieren. Leichenfett hatte bis zur Aufklärung eine starke kultische Bedeutung im Volksglauben. Andere Leichen zerhackten sie, um die Teile zu braten und aufzuessen.
Beginn der Schweizergarde
Die Schweizer Obrigkeiten schränkten nach der Niederlage das „Reislaufen“ – der Schweizer Ausdruck für das Söldnerwesen – ein. Einer der letzten und bekanntesten Reisläufer war Kaspar Röist. Er und seine Männer begründeten die Tradition der Schweizergarde im Vatikan, als sie im Jahre 1527 den römischen Papst vor spanischen Söldnern beschützten. Die Spanier waren katholisch, Röist und seine Männer dagegen reformiert.
Obwohl sie nach Zürich zurückkehren sollten, wollten die Schweizer Söldner als „wahre Kriegsleute und Diener“ den Papst und das Kardinalskollegium „in ihrer großen Not“ nicht im Stich lassen. Röist und der Großteil seiner Männer hielten auf dem Petersplatz die Angreifer auf, 42 Söldner unter der Führung von Herkules Göldli konnten so den Papst in Sicherheit bringen. Alle übrigen Schweizer fielen. Der schwerverletzte Kaspar Röist wurde in Stücke gehackt. Seine Frau verlor ihre Finger, als sie sich schützend über den Sterbenden warf.
Literatur
„Karl der Kühne. Das Ende des Hauses Burgund.“ Werner Paravicini
„Die Kriegsgeschichte der Schweizer: seit Gründung des Schweizerbundes bis zum ewigen Frieden mit Frankreich. M. Rudolf“ Google Books
„Historia Herrn Georgen vnnd Herrn Casparn von Frundsberg, Vatters vnd Sons, beyder Herrn zu Mündelheym, Keyserlicher Oberster Feldtherrn, Ritterlicher vnd Löblicher Kriegsthaten“ Google Books