Lenovo will mit sehendem Superphone punkten

Es ist riesig mit seinem 6,4-Zoll-Bildschirm, schon fast so groß ein ausgewachsenes Tablet. Und es hat jede Menge Sensoren und vier Kameras an Bord. Mit denen tastet das PHAB 2 Pro von Lenovo dreidimensional seine Umwelt ab.

Es vermisst sie auf den Millimeter genau und reichert sie dann mit digitalen Informationen an. Erstmals «weiß» ein Smartphone, wo es sich befindet, welche Gegenstände da stehen, wie groß die sind und wie weit sie voneinander entfernt sind.

Lenovo-Chef Yang Yuanqing, den alle nur «YY» nennen, setzte auf der Hausmesse Techworld in San Francisco einen Schwerpunkt jenseits des Personal Computers, der derzeit noch das Kerngeschäft des chinesischen Konzerns ausmacht.

Was für das menschliche Auge mit seinem Supercomputer namens Gehirn selbstverständlich ist, ist für einen kleinen Mobil-Computer revolutionär. Die reale Welt kann damit viel besser mit virtuellen Elementen verschmolzen werden, zumindest auf dem Display.

Das eröffnet faszinierende Möglichkeiten. Gegenstände oder Personen werden präzise in der Größenrelation eingefügt. Der Dinosaurier im Klassenzimmer erscheint genau so groß, wie er in Wirklichkeit war. Möbelstücke fügen sich in echter Größe harmonisch im Zimmer ein – oder eben auch nicht. Das weiß man dann schon vor dem Kauf.

Die zugrundeliegende Technik, bisher bekannt unter dem Namen «Project Tango», stammt von Google und Lenovo ist der erste Hersteller, der sie kommerziell nutzt. Ab Herbst wird das Gerät in den USA für 499 Dollar (ohne Mehrwertsteuer) angeboten werden. In Deutschland werden 499 Euro (inklusive Mehrwertsteuer) fällig.

Ob die Technik aber letztlich angenommen wird, werden allerdings vor allem die Apps entscheiden, die bis dahin auf dem Markt sein werden. Google arbeitet fieberhaft daran, andere Anbieter von Möbelhäusern über Navigationsherstellern bis Schulbuchverlage müssen folgen.

Lenovo, der chinesische Weltmarktführer bei Desktop-PCs und Laptops, veranstaltete zum zweiten Mal seine jährliche Hausmesse Techworld im Silicon Valley, der Heimat der Wettbewerber Apple, HP oder Dell. PCs, die laut Yang Yuanqing weiter das «Kerngeschäft» ausmachen werden, spielen keine Rolle mehr in der eintägigen Veranstaltung. Alles dreht sich um mobiles Computing, Cloud-Datendienste aus dem Netz und das Internet der Dinge.

Seit zwei Jahren befindet sich Lenovo in einem Transformationsprozess, der den einst nur auf PCs fokussierten Konzern in ein Cloud- und Mobile-orientiertes Unternehmen verwandeln muss. Alles wird in Zukunft vernetzt und mobil sein. Lenovo will die nötige Infrastruktur liefern: Zugangsgeräte wie Laptop oder Smartphone und Infrastruktur wie Server oder Netzwerktechnik.

Wie das aussehen kann, zeigte eine zweite große Ankündigung. Das Moto Z von Motorola ist nicht nur ein schlankes und elegantes Android-Smartphone. Per Magnet werden «Mods» genannte Module an die Rückseite des Geräts angeflanscht und dienen als leistungsstarke Stereo-Lautsprecher, Zusatzbatterie oder auch Projektor. Auto-Mods für den Navigationsbetrieb etwa oder Spiegelreflex-Module für Profi-Fotografen sollen in Vorbereitung sein, hieß es auf Nachfrage. In San Francisco gab es auch einen Laseraufsatz zu sehen, der eine Tastatur auf den Tisch projiziert oder ein Modul für den Betrieb mehrerer Bildschirme.

Andere Versuche mit modularen Smartphones hatten bislang wenig Erfolg. Sie waren klobig oder mussten Kompromisse bei der Leistung machen. Ein Problem, das Lenovo damit umgehen will, dass die Mods einfach ohne Neustart oder Stecker anzubringen sind und über 16 standardisiert Kontakte Informationen austauschen. Das soll die Plattform auf Jahre hinaus zukunftssicher machen. Ashton Kutcher, bekannter Schauspieler, Investor und Lenovo-Promoter erschien auf der Bühne und verkündete: «Es ist einfach, sich in Kleinigkeiten zu verlieren. Aber das ist ein echter Game-Changer.»

Das muss es aber auch sein. Moto Z ist nicht nur ein neues Smartphone. Es ist auch die Chance auf ein Comeback für den Handy-Pionier Motorola, den Lenovo 2014 von Google übernommen hatte. Die Probleme des Unternehmens, das mit Telefonen mit dem «Razr» Geschichte geschrieben hatte, waren schon zuvor unübersehbar. Die Integration der Firma aus Chicago in den Konzern aus China geriet schwieriger als erwartet. Im Mai musste CEO Yuangqing einräumen, man habe die Probleme unterschätzt, und zum ersten Mal in sechs Jahren einen Jahresverlust präsentieren. Im Smartphone-Geschäft zogen unterdessen junge einheimische Herausforderer wie OPPO und Vivo an Lenovo vorbei.

Nun seien aber die richtigen Weichen gestellt, das Problem anzugehen, sagte Gartner-Analystin Mikako Kitagawa in San Francisco: «Da waren eine Menge gute Nachrichten für Lenovo dabei, und sie haben nachdrücklich ihr Engagement im Smartphone-Markt bestätigt.» Kommt die Moto-Z-Plattform rechtzeitig mit vielen attraktiven Modulen heraus, könnten die Chinesen sogar Googles Projekt «Ara» schlagen. Das ist ebenfalls ein Modul-Telefon. Nur ist es schon lange angekündigt, aber noch nie erschienen. Google nennt jetzt vage 2016 als Starttermin und schwenkte vom ursprünglichen Plan, das Telefon aus Kern-Elementen wie Prozessor und Display zusammenstecken zu lassen, auf ein ähnliches Prinzip mit Zusatz-Modulen wie bei Lenovo um.

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