Erfolgsmodell Videotext: «Es ist ein Phänomen»

München (dpa) – Pixelig, ohne Fotos, in die Jahre gekommen: Der Videotext hat viel gemeinsam mit dem Testbild. Er wirkt wie das Relikt einer längst vergangenen Fernseh-Ära, versprüht Retro-Charme. Im Gegensatz zum Testbild aber ist seine Zeit noch nicht vorbei.

Vor mehr als 30 Jahren kam der Videotext nach Deutschland – und auch heute noch hat er eine erstaunlich treue Fangemeinde. Allein der Teletext des Bayerischen Rundfunks, der an diesem Donnerstag 30 Jahre alt wird, hat bis zu 1,3 Millionen Nutzer an einem einzigen Tag.

Insgesamt nutzen rund 10,4 Millionen Menschen in Deutschland täglich den Videotext der verschiedenen Fernsehsender. Sogar sage und schreibe 41 Millionen Menschen riefen ihn nach ARD-Angaben im vergangenen Jahr mindestens einmal auf – und das obwohl sich die Mediennutzung dank Instagram, Twitter und Co. inzwischen doch dramatisch verändert hat.

«Es ist in der Tat ein Phänomen, dass der Videotext heute noch so erfolgreich ist», sagt der Medienwissenschaftler Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er hat folgende Erklärung dafür: «Wenn Sie neue Medientechnologie haben, die einfacher zu gebauchen ist, dann verschwindet die alte ganz schnell. Der Videotext ist aber nach wie vor im Alltag technisch einfach zugänglich und gerade da, wo er benutzt wird – auf dem Fernsehbildschirm in Wohnzimmer – hat es das Internet noch schwer.»

Der Videotext, später auch Teletext genannt, wurde in den 1970er Jahren in Großbritannien erfunden und kam 1981 nach Deutschland. «In England gibt es den Teletext nicht mehr, auch wenn ihm dort viele nachtrauern», sagt die Chefin des ARD-Textes, Frauke Langguth. «Deutschland ist da schon ein bisschen anders als andere Länder – weil wir den Videotext aber auch gepflegt haben. In skandinavischen Ländern ist er aber heute auch noch sehr beliebt.»

Vor genau 30 Jahren, am 1. September 1986, ging der Videotext des Bayerischen Rundfunks auf Sendung und ist seither rund um die Uhr verfügbar. Zur Feier des Tages bekommt er einen neuen Namen. «Aus Bayerntext wird BR Text», teilte der BR mit. «Der neue Name folgt der veränderten Markenführung im Bayerischen Rundfunk. (BR Fernsehen, BR Sport, BR24). Aufgaben und Zuschnitt der Redaktion «BR Text» ändern sich aber nicht.»

Viel ändern kann sich auch gar nicht, sagt Langguth – zumindest technisch nicht. «An der alten Optik können wir nichts mehr ändern. Die Technik, die ja in den 1970er Jahren in England entwickelt wurde, wird nicht mehr aktualisiert.»

Der Videotext beruht – knapp erklärt – auf der sogenannten Austastlücke. Weil bei der TV-Übertragung nicht alle 625 Bildzeilen genutzt werden, bleiben einige über, deren Raum für den Teletext mit Schrift und Grafiken genutzt wird. Langguth: «Das Aussehen wird oft mit dem Inhalt verwechselt – aber zu Unrecht.»

Zwischen 700 000 und 1,3 Millionen Nutzer rufen allein den BR-Videotext nach Senderangaben pro Tag auf. Die am häufigsten besuchten Seiten sind demnach die Nachrichten aus Bayern, Deutschland und der Welt, dicht gefolgt vom Sport-Angebot sowie Wetter- und Programminformationen. Der typische Nutzer des BR-Textes ist nach Angaben des Senders 56 Jahre alt.

Ganz immun gegen die sich wandelnde Medienwelt ist aber auch der Videotext nicht. Im Vergleich zu 2015 sank die Zahl der täglichen Nutzer zwar nur kaum merklich, 2014 riefen aber noch mehr als 11 Millionen Nutzer den Text mindestens einmal am Tag auf – ein Rückgang von mehr als einer halben Million in zwei Jahren. Vor zehn Jahren lagen die Nutzerzahlen nach BR-Angaben sogar noch bei 17 Millionen Lesern. «Der Medienwandel hinterlässt hier seine Spuren», heißt es vom BR.

Die ARD hat sich darüber Gedanken gemacht, bindet nach Angaben Langguths inzwischen Live-Ticker in den Videotext ein und Twitter-Kommentare zum «Tatort» oder zum «Polizeiruf 110».

An diesem Donnerstag startet außerdem die fünfte Ausgabe des Teletext-Kunstfestivals. Vier Wochen lang wird der Künstler Dan Farrimond die Zuschauer im ARD-Text täglich mit neuen Videotext-Kunstwerken überraschen. Im vergangenen Jahr verewigte der Berliner Künstler Ryo Ikeshiro den Po von US-Sternchen Kim Kardashian in roten und blauen Pixeln. ARD-Text-Chefin Langguth sagt: «Wir warten nicht, dass wir in Schönheit sterben, sondern wir machen schon etwas.»

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