Nach dem Knopfdruck müsste der Kontakt rasend schnell hergestellt sein. Eigentlich. Schließlich sind die Funksignale zur Raumsonde Voyager 1 mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Das heißt, dass sie jede Sekunde 300.000 Kilometer (!) im intergalaktischen Nichts zurücklegen. Oder pro Stunde unvorstellbare 1,08 Milliarden Kilometer.
Dennoch, sobald ein Mitarbeiter in der NASA-Einsatzzentrale im kalifornischen Pasadena die Befehlstaste seines Computers drückt, dauert es trotz dieses ungeheueren Affenzahns eine halbe Ewigkeit, bis die Verbindung aufgebaut ist. Erst nach mehr als 20 Stunden registriert der Bordrechner des irdischen Pfadfinders den Eingang des Signals der Bodenkontrolle, die routinemäßig einen technischen Statusbericht zur Erde gefunkt haben will – der zurück noch einmal so lange braucht.
Grund ist die Entfernung
Voyager 1 und 2, die noch immer funktionierenden spinnenartigen Zwillingsspäher der Menschheit, jagen seit genau vier Jahrzehnten durchs All. Im August und September 1977 wurden sie nacheinander an der Spitze je einer Titan-Centaur-Rakete von Cape Canaveral in die Unendlichkeit geschossen. Seither fliegt die eine Sonde aus Erdsicht nach Norden, die andere nach Süden. Beide legen jeden Tag 1,4 Millionen Kilometer zurück.
Voyager 1 hat zusätzlich zum 40. Dienstjubiläum auch einen Entfernungsrekord aufgestellt: Der Erdtrabant ist inzwischen mehr als 20,6 Milliarden Kilometer von seiner Startbasis in Florida entfernt. Kein von Menschen gemachtes Gerät im All hat mehr Strecke auf dem Zähler. Sein baugleicher Bruder hingegen ist wegen eines anderen Bahnverlaufs erst bei etwas mehr als 16 Milliarden Kilometer angelangt. Verglichen damit sind alle anderen Weltraummissionen Kurztrips gegen diese unendliche Reise.
Noch immer im Vorgarten der Erde
So beeindruckend die erreichten Entfernungen nach menschlichem Ermessen auch sein mögen, nimmt man die Unendlichkeit des Weltraums als Maßstab, sieht es anders aus. Dann sind beide Kundschafter gerade mal im Vorgarten der Erde angekommen. Und obendrein sind sie trotz ihres irrwitzig erscheinenden Tempos in Wahrheit lahme Enten.
Voyager-02Hätten beide Maschinen je einen Tacho an Bord und könnte man drauf schauen, dann sähe man, dass die Tachonadeln jeweils bei 60.000 km/h stehen würden. Rein rechnerisch bedeutet das zwar, dass man mit dem Tempo in weniger als einer Minute von Hamburg nach München rasen könnte. Um die unvorstellbar großen Distanzen im All aber halbwegs zügig zurücklegen zu können, müssten sie schon so schnell sein wie die Funksignale. Doch das ist technisch illusorisch.
Die Aufgabe der irdischen Doppelflaschenpost im Kosmos bestand zunächst darin, die vier gewaltigen äußeren Planeten unseres Sonnensystems aus der Nähe zu erkunden – Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Ausgestattet sind die Schwestersonden unter anderem je mit einer Parabolantenne für den Kontakt zur Heimat, einer Radioisotopen-Batterie zur Stromerzeugung, einem Tank mit Hydrazin als Treibstoff für die Schub- und Steuerdüsen, verschiedenen wissenschaftlichen Messinstrumenten und natürlich je mit einer Spezialkamera.
Günstige Planetenkonstellation
Bereits in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wussten die Astronomen der Nasa, dass diese Planeten nur alle 175 Jahre in einer derart günstigen Position zueinander stehen, dass sie ein Raumschiff unter Ausnutzung der jeweiligen Planeten-Anziehungskraft hintereinander besuchen kann. So kam es, dass der Spätsommer 1977 als idealer Starttermin berechnet wurde. Doch die Wissenschaftler waren skeptisch, ob eine Sonde das schaffen kann. Was, wenn sie ausfällt und weder Signale noch Bilder zur Erde funkt? Also baute man zur Sicherheit Zwillinge, jeder 825 Kilogramm schwer, und schoss sie nacheinander ins All.
Ihre Aufgaben haben sie mit Bravour gemeistert. Die Mission, bekannt geworden unter der Bezeichnung „Die große Reise“, ist das erfolgreichste Raumfahrtunternehmen aller Zeiten. So bezeichnet es Reiner Klingholz in seinem Buch „Marathon im All“. Jeweils elf Instrumente funkten gestochen scharfe Bilder und Milliarden von Messdaten zu Erde. Von den Ringen des Saturn, den Monden des Uranus oder der stürmischen Oberfläche des Jupiter.
Voyager-03Kurz nachdem die beiden Raumreisenden ihre Jobs erledigt hatten, bekam Voyager 1 noch einen Spezialauftrag von der Einsatzleitung im kalifornischen Pasadena: Die Sonde wurde um 180 Grad gedreht und sollte von ihrer sechs Milliarden Kilometer entfernten Position aus die Erde in der Milchstraße fotografieren. Das geschah am Valentinstag des Jahres 1990, am 14. Februar. 60 verschiedene Ansichten unseres Sonnensystem funkte der Roboter in die Heimat. Carl Sagan, der inzwischen verstorbene Chef-Wissenschaftler der Voyager-Mission, erläuterte das beste Bild damals der Presse mit den Worten: „Das ist hier, das ist die Heimat, das sind wir.“ Dabei deutete er auf einen kleinen blauen Punkt in der Mitte des Bildes – kaum größer als ein Staubkorn.
Arbeitsspeicher mit nur 64 Kilobyte
Seitdem rauschen beide Pfadfinder auf Nimmerwiedersehen durch den interstellaren Bereich. Ob und wann Voyager 1 in den nächsten tausend Jahren einen anderen Planeten oder eine andere Sonne passieren wird, ist unklar. Voyager 2 hingegen wird auf seiner Bahn am Stern Ross 248 vorbeikommen – wenngleich in großer Entfernung und auch erst im Erdenjahr 40155. Beim routinemäßigen Datenaustausch haben die Wissenschaftler festgestellt, dass an den Sonden etwa alle halbe Milliarde Kilometer ein Bauteil bockt, der Bordcomputer schon mal hakt, die spinnenbeinartigen Ausleger der Sensoren versteifen oder dass die Kameras inzwischen erblindet sind. Das ist kein Wunder, denn die Technik ist von der Konstruktion mehr als 40 Jahre alt. So hat zum Beispiel das Elektronenhirn in etwa den Standard des ersten Apple-Rechners und einen Arbeitsspeicher von lächerlichen 64 Kilobyte. Kein modernes Smartphone würde damit funktionieren.
Und wer den Voyager-Sonden Befehle erteilen will, muss die Programmiersprachen Fortan und Assembler beherrschen, die aus der Computer-Steinzeit stammen. Der letzte aus der alten Voyager-Garde, der das konnte, war Larry Zottarelli. Ende 2015 ist er in den Ruhestand gegangen – mit 80 Jahren. Und weil die Missionszentrale in Pasadena aus einem ganz bestimmten Grund Kontakt zu den beiden Raumreisenden halten will, suchte die Nasa zunächst öffentlich nach einem nicht ganz so alten Hasen, der fit ist in diesen Programmiersprachen. Man fand den Nachfolger schließlich intern. Dessen Hauptaufgabe ist es, die Geräte an Bord der beiden Satelliten nach und nach bis zum Jahr 2025 abzuschalten, um die Uralttechnik zu schonen.
Instrumente werden deaktiviert
Dem Bandspeichersystem zum Beispiel wurde längst der Saft abgedreht. Dabei handelt es sich um ein vor Jahrzehnten übliches Magnetband, auf dem die gesammelten Daten von Planeten und ihren Monden vor dem Senden zur Erde zwischengespeichert wurden. Das Abschalten spart Strom. Auch die Lageregelung wurde deaktiviert. Betroffen davon sind zwölf Schub- und Steuerdüsen. Von den einst je 90 Kilogramm Spezialtreibstoff Hydrazin in den beheizten Kunststofftanks beider Sonden sind inzwischen mehr als 60 Prozent verbraucht. Der Rest wird nicht mehr verfeuert, weil die Ausrichtung der Sonden auf dem Weg in die Unendlichkeit unnötig geworden ist. Und das schrittweise Deaktivieren der wissenschaftlichen Instrumente, 14 sind an Bord, ist bereits im Gang.
Die beiden irdischen Kundschafter werden also stumm, blind und taub unendlich weiterfliegen, verbunden mit der Hoffnung der Wissenschaftler, dass sie eines fernen Tages auf eine andere Zivilisation treffen. Dann werden sie zu Botschaftern. Und wenn die fremden Wesen mindestens so schlau wie wir sein sollten, dann werden sie verstehen, wie die kupfernen und mit Gold belegten Langspielplatten zu bedienen sind, von der jede Sonde eine mitführt. Zu hören und zu sehen darauf ist die Erde. Gespeichert sind Grußbotschaften in 55 Sprachen, 27 Musikstücke von Bach bis zu den Beatles sowie menschliches Gelächter, Hundegebell und auch das sanfte Geräusch eines Kusses. Zudem atemberaubende Bilder von unseren blauen Planeten.
Irdische Botschaften für jedermann
Bisher hatte nur der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter eine Kopie davon geschenkt bekommen. Jetzt, aus Anlass des 40. Jubiläums, gibt’s diese einmalige Zusammenstellung irdischer Botschaften für jedermann: Das Technikportal BoingBoing vertreibt für knapp 100 Dollar eine Box mit drei goldfarbenen Vinylschallplatten und den Originalinhalten. Dazu gehört ferner ein Buch mit faszinierenden Bildern der Voyager-Mission.
Die beiden Platten an den Raumsonden stecken je in einer Aluminiumhülle, auf der die Bedienungsanleitung in Zeichensprache eingraviert ist. Sogar ein Abspielgerät und eine altmodische Nadel sind beigefügt, damit E.T. die Botschaft hören und sehen kann. Bleibt zu hoffen, dass der Außerirdische entweder die gleiche Erfahrung gemacht hat mit Opas Plattenspieler oder dass er wenigstens bei Google nachlesen kann, wie das fremde Ding bedient wird.Blue Origin Kapsel für Weltraumtouristen_10.40