Mord-Videos statt virtueller Mätzchen: Warum Facebooks irre Zukunftsvisionen an der Realität zerschellen

Es war eine gigantische Vision: Menschen aus der ganzen Welt sollen sich dank Facebooks VR-Brille Oculus Rift demnächst an virtuellen Strandpromenaden treffen, dabei auf in der Luft schwebenden Chatfenstern mit den Freunden quatschen können, die keine der teuren Brillen besitzen. So stellte sich Mark Zuckerberg auf der hauseigenen Messe F8 in San Jose die Zukunft von Facebook vor. Spötter mag die Vision einer virtuellen Traumwelt an das gescheiterte Pseudospiel Second Life erinnern. Für Zuckerberg und sein Team ist sie wohl auch Flucht vor den livegestreamten Morden der traurigen Facebook-Realität.Facebook Spaces

Die sieht nämlich längst nicht so rosig aus wie die Comic-Avatare in der neuen „Spaces“-App für Oculus Rift. Anfang des Jahres beherrschte noch Facebooks Rolle in der Fakenews-Debatte das Bild des Netzwerkes. Mittlerweile ist das – nach wie vor nicht befriedigend gelöste – Thema einem viel drastischeren gewichen. Denn bei Facebook soll nach Zuckerbergs Willen immer mehr live passieren. Leider streamen aber nicht nur Hobby-Köche und Modebloggerinnen ihren Alltag – sondern auch immer mehr Mörder und Vergewaltiger. Und Facebook kann wie seine Nutzer nur machtlos zusehen.Facebook kündigt nach Mord Konsequenzen an_11.20

Mord und Vergewaltigung bei Facebook

Auf der F8 war das Kapitel eine kleine Fußnote: Zuckerberg erwähnte zwar gleich zu Beginn den jüngsten Mord an Rentner Robert Godwin Sr., dessen Mörder ein Video der Tat bei Facebook hochgeladen hatte, und drückte seine Anteilnahme aus. Nach einem Versprechen, in Zukunft mehr gegen solche Fälle zu unternehmen, ging man aber zur Tagesordnung über. Es blieb ihm aber wohl auch wenig mehr übrig.

Die Wahrheit ist schlicht und einfach: Facebook kann die Flut an Inhalten eigentlich nicht mehr kontrollieren. Von Menschenhand ist das durch die schiere Masse an Inhalten ohnehin nicht mehr möglich. Computer-Programme und künstliche Intelligenz sind aber längst nicht soweit, dass sie grausame oder anderweitig verstörende Inhalte ausreichend schnell als solche erkennen. Was bei Nacktbilder noch gut funktionierte, ist im Zeitalter von Videoclips längst nicht mehr ohne weiteres möglich – von Livestreams ganz zu schweigen.Vergewaltigung live auf facebook_17.30

KI als entfernter Hoffnungsschimmer

Die einzige Hoffnung ist, dass sich künstliche Intelligenz so schnell weiterentwickelt, dass sie auch Livestreams auf problematische Inhalte untersuchen kann. Ob das je der Fall sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Während nackte Körper auch für Programme relativ leicht zu erkennen sind, ist das etwa bei Gewalt längst nicht so einfach möglich. Doch selbst wenn Facebook eine entsprechende KI entwickeln kann, dürfte es noch eine ganze Weile dauern – während die Menge der zu prüfenden Video- und Liveinhalte immer weiter anwächst.

Bis dahin bleibt Facebook wenig anderes übrig, als sich auf Meldungen der Nutzer zu verlassen, was in der Vergangenheit nicht gerade berauschend funktionierte. Von Hand bearbeitete Meldungen zu einem Livestream werden nur in absoluten Ausnahmefällen rechtzeitig bearbeitet werden. Zudem muss sich auch ein Nutzer finden, der sich zu einem Vorfall an Facebook wendet: Wie viele bei Facebook gestreamte Verbrechen nie gemeldet wurden und dadurch unentdeckt blieben, weiß wohl niemand.

In Facebooks Vsision des virtuellen Netzwerkes wäre für solche Grausamkeiten alleine schon wegen der stilisierten Optik kein Platz. Ob sie sich aber durchsetzt, darf man bezweifeln. Die wilden Visionen der letzten Jahre sind jedenfalls längst sang- und klanglos verschwunden. Das wird mit Facebooks Live-Problem wohl leider nicht so gehen.Vor Facebook_12.30

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert