Social-Media-Zwillinge: Lisa und Lena – fast so bekannt wie Mesut Özil und Toni Kroos

„Was ist denn hier los?“, fragt eine Radfahrerin. Sie hat angehalten und schaut irritiert auf eine Schlange von 2000 Kindern und Jugendlichen, die sich durch die Speicherstadt in Hamburg windet. „Auf wen warten die denn?“ Sie sieht die selbst gemalten und mit Herzchen verzierten Plakate. „Lisa and Lena“ steht darauf. „Wer sind Lisa und Lena?“, fragt die Frau verwundert. „Muss ich die kennen?“ Lisa und Lena sind 14-jährige, Zahnspangen tragende Zwillinge aus Stuttgart, die an diesem Tag nach Hamburg gekommen sind, um ihre Fans zu treffen. Und ja, zumindest, wer zwischen 8 und 15 Jahre alt ist oder Kinder in diesem Alter hat, muss sie kennen. Dann weiß man, dass Lisa und Lena Superstars sind, die von unzähligen Fans angehimmelt werden. Im sozialen Netzwerk Instagram folgen ­ihnen 10,5 Millionen Nutzer – damit sind sie der dritterfolgreichste deutsche Account, mehr Anhänger haben hierzulande nur die Fußballer Mesut Özil und Toni Kroos (jeweils 11,8 Millionen).

Warum Lisa und Lena so viele Fans haben, versteht derjenige allerdings nicht so leicht, der älter als 15 Jahre ist. Und was sie eigentlich genau machen, auch nicht. Das muss einem ganz langsam erklärt werden, in einem bemüht-geduldigen Tonfall, so wie immer, wenn junge Menschen älteren Menschen Trends erläutern, die den Älteren völlig rätselhaft erscheinen.

Also: Lisa und Lena sind bekannt geworden über die Smartphone-App „Musical.ly“. Das ist ein soziales Netz, in dem die Nutzer, die sogenannten Muser, selbst gedrehte Videos, genannt „Musicals“, veröffentlichen. In den 15 Sekunden kurzen Clips tanzen, grimassieren, gestikulieren die Muser meist zu aktuellen Popsongs und bewegen die Lippen möglichst synchron zum Gesang. Sie machen also das, was schon Generationen von jungen Menschen vor ihnen im Kinderzimmer vor dem Spiegel in eine Haarbürste als Mikrofon-Ersatz singend gemacht haben – sie imitieren Popstars. Neu ist heute: Die Jugendlichen filmen sich dabei selbst mit dem Smartphone, garnieren das Ganze mit allerlei Effekten wie etwa einem Zeitraffer, der das Getanze noch verrückter aussehen lässt. Als Resultat ergibt das eine Art bewegtes Selfie, das aussieht wie eine Mischung aus Mini-Playback-Show, Ausdruckstanz und Slapstick-Performance und das in seiner kurzen, hibbeligen Überdrehtheit wahrscheinlich bestens für ein Publikum mit einer Aufmerksamkeitsspanne wie bei schwerem ADHS geeignet ist. Oder eben für alle unter 16.

Speicherstadt 2

Herzchen zur Belohnung

Die Filme laden die Muser in die Musically-App hoch oder teilen sie auf Insta­gram und hoffen darauf, dass möglichst viele andere Nutzer sie mit Herzchen als Lob markieren. Und wenn dabei richtig viele Herzchen zusammenkommen, werden die Popstars-imitierenden Teenager selbst zu Popstars. So lief es bei Lisa und Lena, die vor anderthalb Jahren ihr erstes Video veröffentlicht haben. Heute haben sie für ihre Clips auf Musically insgesamt 1,1 Milliarden Herzchen gesammelt. Und deshalb passiert beim Lisa-und-­Lena-Fantreffen in der Speicherstadt eben das, was immer passiert, wenn Teenager-Idole auf ihre Fans treffen: Junge Menschen harren stundenlang geduldig hinter Absperrungen neben streng dreinblickendem Sicherheitspersonal aus, halten selbst gebastelte Plakate, Plüschtiere und pinkfarbene Einhorn-Ballons in den Händen, ignorieren Kälte, Nieselregen, Wind und stimmen zwischendurch Sprechchöre an: „Leli, Leli, Leli“ – so die ­Abkürzung für die Schwestern.

Während die Fans draußen warten, geben Lisa und Lena drinnen Interviews. Ihr Manager sitzt daneben, im Hintergrund ihre Eltern. Ansage des Managements an die Journalisten: keine Fragen zum Thema Geld und keine danach, ob die Mädchen schon einen Freund haben. Zu anderen Themen geben die blonden Teenies höflich, freundlich, fröhlich und leicht schwäbelnd Auskunft, dabei betonen sie immer wieder, dass sie „ganz normale Mädchen“ seien, die aber auch etwas weitergeben möchten. Nämlich: „Smile. Be yourself. Dream it and do it“, zählen sie auf.

„Dream it and do it“ ist das Motto der beiden; es steht als Schriftzug auf ihren Merchan­dise-Artikeln, die sie „als Dankeschön für die Fans“ verkaufen: Kapuzenpullis, T-Shirts, Armbändchen. „Wir sind keine Stars. Stars sind Leute wie Justin Bieber, Selena Gomez oder Ariana Grande.“ Trotzdem gingen Lisa und Lena bereits bei Filmpremieren über den roten Teppich, trafen den Sänger Ed Sheeran und die Kaulitz-Zwillinge von Tokio Hotel. Im nächsten Film von Matthias Schweighöfer und Til Schweiger, der Ende des Jahres in die Kinos kommen soll, haben die Mädchen einen Gastauftritt. Denn eigentlich, erzählen Lisa und Lena, wollen sie Schauspielerinnen werden.

Speicherstadt

„Die sind berühmt – aber wofür?“, fragt eine Rentnerin

Fragt man die Zwillinge, warum so viele Menschen sie mögen, antworten sie: „Das können wir selber gar nicht sagen, das müssen Sie die Menschen fragen.“ Die Menschen – genauer: die Mädchen –, die draußen warten, verraten gern, was sie an Lisa und Lena mögen: „Alles!“ Lisa und Lena seien so nett. Sie hätten eine tolle Ausstrahlung. Sie seien hübsch. Sie könnten gut tanzen. Halbwüchsige benutzen lobend das Wort „bodenständig“.

Elsa, ­Tabea, Mia und Mara, 12, 13, 14 Jahre alt und aus Winsen an der Luhe, sagen: „Andere Social-Media-Stars tun oft nur so. Leli sind noch echt.“ Zwischen den Fan-Mädchen stehen verständnisvolle Eltern. Eine Mutter hat ihre Tochter extra aus Mainz nach Hamburg gefahren, am Vorabend haben sie bis ein Uhr nachts vor einem Hotel gewartet, um Lisa und Lena vielleicht noch zu sehen. „Ich bin selbst großer Helene-Fischer-Fan“, sagt die Mutter, „ich stehe bei ihren Konzerten auch zehn Stunden vorher vor der Halle. Deshalb mache ich das gern für meine Tochter; ich weiß, wie viel Kraft so eine Begegnung geben kann.“

Eine 75-jährige Frau, die ihre 13-jährige Enkelin begleitet, ist ratloser: „Die sind berühmt, aber wofür? Die singen ja nicht mal. Aber es ist so, wie es ist.“ Sie mache so was bereits zum zweiten Mal durch – bei ihrer Tochter waren es im selben Alter die Boybands. „Ich selbst bin Nachkriegskind, wir hatten so was nicht. Höchstens Elvis, aber ich weiß nicht, ob der mal nach Hamburg kam.“ Ein Vater aus Flensburg erzählt, er habe in seiner Jugend für Tommi Ohrner und Désirée Nosbusch geschwärmt. „Aber Treffen wie das hier wurden damals nicht angeboten.“

Leli

Nahbar und bodenständig

Damit spricht der Vater einen Punkt an, der wichtig ist für alle, die berühmt werden wollen: Ein Social-Media-Star sollte jemand zum Anfassen sein, im Wortsinn. Denn die wartenden Mädchen wollen von Lisa und Lena hauptsächlich zwei Dinge: eine Umarmung und ein gemeinsames Foto. Und so umarmen Lisa und Lena an diesem Nachmittag rund 2000 Leute, schön der Reihe nach, bis in den Abend hinein, mit einer beeindruckenden Ausdauer an Freundlichkeit und guter Laune. Sie stehen unter einem Heizpilz in einem weißen Plastikpavillon, hinter ihnen ist ein Pappaufsteller platziert, der sie als Comicfiguren zeigt, daneben warten ihr Manager und ihre Eltern.

Die Begegnungen laufen immer ähnlich: Die Zwillinge begrüßen den Fan mit einem begeisterten „Hallo! Na!“, dann wird umarmt. Ist der Fan sehr auf­geregt oder weint, sagen Lisa und Lena tröstend: „Alles gut!“ Der Fan übergibt ein Geschenk, das die Mutter der Zwillinge in einen großen Karton packt. Schließlich wird für ein Foto posiert, meist mit zum Victory-Zeichen gespreizten Fingern, Grinse-Grimasse, manchmal mit rausgestreckter Zunge. Die Zwillinge wirken extrem nahbar, herzlich, verbindlich. Völlig klar, warum so viele Mädchen sie sich als beste Freundinnen wünschen.

Der Ausgang des Pavillons führt direkt am Verkaufsstand vorbei, wo viele Fans noch etwas erwerben. Lisa und Lena mögen sich selbst nicht als Stars fühlen, doch für die Industrie um sie herum sind sie das natürlich. Im Gegensatz zu vielen anderen Social-Media-Berühmtheiten machen Lisa und Lena nicht offen Werbung für Markenprodukte. Doch sie werden zusätzlich zu ihren Merchandise-Produkten bald eine eigene Klamottenlinie herausbringen, „bisschen Street, bisschen cooler und Oversize“, sagen sie. Es gibt ein Haargummi in einer „Lisa und Lena Edition“, für das in Drogerien mit ihrem Bild geworben wird. Auf die Frage, ob sie in ­Zukunft statt Playback einmal selbst singen werden, geben sie keine eindeutige Antwort.

Lisas und Lenas Mutter Lilli, die ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchte, sagt zum Erfolg ihrer Töchter: „Wir sehen die Chance, die die Mädchen dadurch haben.“

Fans

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