Jahrzehntelang war „Project Iceworm“ eines der am strengsten gehüteten Geheimnisse der USA. In den Hochzeiten des Kalten Krieges im Jahr 1960 begann die Atommacht, eine immense Basis in das Eis Grönlands zu graben, in der 600 speziell konstruierte Atomraketen stationiert werden sollten. Ziel war es, den Erzfeind Sowjetunion über den Polarkreis hinweg ins Visier zu nehmen, sollte der Kalte Krieg plötzlich heiß werden.
Doch die US-Militärs hatten die Bewegungen der grönländischen Eisdecke unterschätzt, die unterirdischen Tunnel wurden immer wieder in Mitleidenschaft gezogen. Schon 1963, drei Jahre nach Baubeginn, entschied man sich, „Project Iceworm“ zu stoppen. Weitere vier Jahre später wurde Camp Century endgültig aufgegeben und dem ewigen Eis überlassen – samt einer Reihe gefährlicher, teils radioaktiver Abfälle. An den Klimawandel und schmelzendes Eis dachte damals noch niemand. Eine kürzlich veröffentlichte Studie warnt nun vor den Gefahren für die Umwelt, die bis heute unter dem Eis Grönlands lauern.
Eigener Atomreaktor lieferte Strom für Camp Century
Dass die USA einen Stützpunkt von der Größe einer Kleinstadt ins grönländische Eis gruben – nur 800 Kilometer vom Nordpol entfernt – war schon zu Beginn des Projektes kein Geheimnis. Doch kannten nur die Wenigsten den wahren Zweck des abgelegenen Camp Century. Sogar Dänemark, zu dem die Insel im Nordatlantik bis heute gehört, wusste nicht, was die USA im Verborgenen planten. Offiziell diente die Basis der Erforschung von Bautechniken sowie der Durchführung wissenschaftlicher Experimente unter arktischen Bedingungen. Ihre tatsächliche Bestimmung wurde erst im Jahr 1995 bekannt, als die dänische Regierung Nachforschungen anstellte.
Camp Century verfügte über den ersten mobilen Atomreaktor der Welt, der von 1960 bis 1963 Strom für den Stützpunkt lieferte. Auch er sollte unter den widrigen, arktischen Bedingungen getestet werden. Bis zu 200 Mann waren in der unterirdischen Basis stationiert, die wissenschaftliche Labors, eine Bibliothek, eine Kapelle, ein kleines Krankenhaus und sogar einen Friseursalon beherbergte.
Eigenes Schienennetz sollte Atomraketen befördern
Die US-Militärs planten ein Netz aus unterirdischen Tunneln, die sich über tausende Quadratkilometer unter dem arktischen Eis erstecken sollten. Über ein unterirdisches Schienennetz sollten Atomraketen dann zu verschiedenen, auf der Insel verteilten Abschusspunkten gebracht werden.
Camp Century (1)
Als die Basis 1967 ihrem Schicksal überlassen wurde, hielt man umfassende Aufräumarbeiten für überflüssig, da der Stützpunkt ja bewusst an einem Ort errichtet wurde, der die Ewigkeit überdauern sollte. Zwar wurde die Reaktorkammer schon 1963 entfernt, doch lagern laut der neuen Studie bis heute 9200 Tonnen Material, 200.000 Liter Dieseltreibstoff, geringe Mengen radioaktiven Kühlwassers, sowie verschiedene krebserregende Giftstoffe in den mittlerweile kollabierten Tunneln von Camp Century.
Forscher warnen vor Schadstoffen unter dem Eis
Die etwa 30 Meter Eis und Schnee, die den Militärkomplex heute bedecken, schmelzen mit zunehmender Geschwindigkeit. Auf Basis verschiedener Simulationen gehen die Wissenschaftler in ihrer Studie davon aus, dass das toxische Erbe bis zum Jahr 2090 wieder freiliegen könnte. Unterirdisches Schmelzwasser könnte jedoch schon „Jahrzehnte früher“ mit den Giftstoffen in Kontakt geraten und diese in die Umwelt weiterbefördern. Der Schaden für das arktische Ökosystem wäre somit programmiert.
Zwar gehen die Forscher davon aus, dass das zusätzliche Gefahrenpotential durch die eingefrorenen Schadstoffe im Verhältnis zu der ohnehin schon stark belasteten Arktis eher gering ist. Doch sehen sie den Fall von Camp Century vor allem als Beispiel dafür, wie der Klimawandel in Zukunft immer häufiger auch zu politischen Konflikten führen könnte. Diese können beispielsweise daraus resultieren, dass durch die Erderwärmung längst vergessene Gefahren für Mensch und Umwelt zurück an die Oberfläche kommen und so für neuen Zündstoff sorgen. Süßwasserknappheit in Folge des Klimawandels beispielsweise, birgt laut verschiedener Experten weltweit großes Konfliktpotential.
Lauern noch mehr Gefahren unter dem Eis?
Und ein Beispiel für die politische Brisanz des Vermächtnisses von Camp Century lieferten die Wissenschaftler gleich mit: Sowohl die Nato als auch die dänische Regierung hätten es abgelehnt, die Studie zu finanzieren. Den Forschern blieb laut William Colgan nichts weiter übrig, als „an Abenden und an Wochenenden“ an der Studie zu arbeiten, die nun im Fachblatt „Geophysical Research Letters“ veröffentlicht wurde.
03-Milzbrand in Sibirien ausgebrochen-5069318862001Ein Vorbote dessen, was Jahrzehnte oder Jahrhunderte im ewigen Eis schlummerte, doch nun durch den Klimawandel wieder zum Leben erwacht, ist das Beispiel von Milzbrand-Erregern in Sibirien: Diese waren jahrelang in Rentier-Kadavern im Permafrostboden eingeschlossen, tauen nun jedoch immer häufiger auf. Mindestens eine Person ist in der Region bereits an Milzbrand gestorben – und das, obwohl die Krankheit in Russland seit 75 Jahren nicht mehr aufgetreten war.